Textanfänge

Der Anfang setzt den Tonfall und gibt ein Versprechen für den Text. Neben der Überschrift, dem Untertitel und anderen Begleitelementen (Bilder, Grafiken, etc.) ist der erste Satz mitverantwortlich dafür, ob ein Text gelesen wird oder nicht.

Der Tonfall verrät etwas über das Genre: Bericht, Nachricht, Reportage, Glosse, Interview, Reisebericht, Rezension, etc.

Der Leser hat keine Ahnung, was der Autor bezweckt, also muss der erste Satz nicht nur spannend sein, sondern auch an Bekanntem andocken. „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem riesigen Ungeziefer verwandelt.“ Kafkas Anfang von „Die Verwandlung“ ist ein meisterhaftes Beispiel. Der sachlich-nüchterne Tonfall stimmt auf den weiteren sachlich-nüchternen Stil ein. Der Inhalt ist eine scheinbar bekannte Situation, die durch das Unerwartete in den letzten zwei Worten gebrochen wird. Dadurch entsteht Spannung, die förmlich zum Weiterlesen zwingt. (Das Perfide an Kafka ist, dass die scheinbar wichtigste Frage [Warum] im Text nicht beantwortet wird – aber Kafka ist Literat und kein Journalist.)

Der erste Satz ist ein Amalgam aus drei Tugenden: Tonfall, Bekanntes, Neues. Auch die Erzählperspektive gibt der erste Satz vor. Tipp aus der Praxis: Einfach losschreiben. Am Ende den ersten Absatz löschen (oder an eine andere Stelle schieben, aber meist ist löschen besser).

Die gescannten Beispiele stammen aus der UnAufgefordert.

Die Überschrift

Jeder journalistische Text hat einen Titel, eine Überschrift, eine „Headline". Diese ist knackig und verführt zum Lesen. Die meisten Medien sind so gestaltet, dass die Überschrift groß heraussticht, aber immer im Verbund mit einem „Untertitel“, „Lead in“ oder ähnlichem gelesen wird. Je nach Medium und Thema sind sachliche Titel oder kreative Überschriften gefragt.

Der Titel macht Lust auf Lesen, der Untertitel gibt sachliche Gründe für das Lesen.

  • Titel: Der Aufschneider
  • Untertitel: Dr. XXX arbeitet seit Jahren als Pathologe im Verborgenen. Durch seine Unterstützung bei der Lösung des Falles um den toten XXX gelangte er zu Berühmtheit.
  • Der Text: eine Reportage; gerade im Zusammenspiel mit einem guten Foto kann die Überschrift besonders gut funktionieren oder eher schlecht; lange Texte werden durch Zwischentitel gegliedert, die die Struktur des Texts widerspiegeln und Höhepunkte aufgreifen.
  • Titel: Wo die Bilder laufen lernen
  • Untertitel: Allwöchentlich zeigt der HU-Kinoklub, was Filmwelt und Filmarchive Interessantes zu bieten haben.

Problem von Frage-Anfängen

Eine Frage eröffnet einen Pseudo-Dialog, stellt eine Frage in den Raum, von der der Autor denkt, dass der Leser ihm folgen will, weil er die Antwort in seinem Sinne gibt. Wenn der Leser „Ja“ sagt, braucht er allerdings nicht weiterzulesen, da es für ihn ja ein langweiliges Thema sein dürfte und durch die Art der Fragestellung meist eine Meinungsübereinstimmung feststeht; wenn der Leser „Nein“ sagt, wird es ihn nicht interessieren, wie es weitergeht. Das ist das grundsätzliche Problem von Frage-Anfängen: Der Autor verlangt vom Leser eine Entscheidung, die theoretisch in seinem Sinne gefällt wird – allerdings geschieht das selten; dazu muss das Thema den Leser schon sehr interessieren oder die Frage wiiirkliiich gut sein.

Wenn schon Fragen am Anfang, dann keine Ja-Nein-Fragen („geschlossene Fragen“), sondern „offene Fragen“.

Wer war Che Guevara? War er einmal auch nur ein gewöhnlicher junger Mann, bevor sein Konterfei weltweit den T-Shirt-Absatz ankurbelte? „The Motorcycle Diaries – Die Reise des jungen Che“ gibt keine eindeutige Antwort. Das schmälert den Film nicht, macht ihn sogar stärker. [weiter in „Spree“ #01, Seite 40]

Eine Geschichte erzählen

Erzähl eine Geschichte, die den Leser interessieren könnte. „Es war einmal … eine schöne Prinzessin …“ zeigt, wie es geht: Einerseits Distanz (auch hierarchisch zwischen Autor und Leser) und zweitens erste Informationen, die natürlich teilweise ablenken, denn es geht dann üblicherweise erst einmal um den Prinzen, der allerlei Abenteuer bestehen muss. Der Autor stellt sich nicht mit dem Leser auf eine Stufe, höchstens wissenstechnisch und sozialhierarchisch, aber nicht in der Autor-Leser-Situation. Der Autor bestimmt, wo es langgeht und gibt dem Leser die bestmögliche Hilfestellung, dass dieser sein Ansinnen versteht, ihm folgen kann.

Eigentlich ist alles ganz einfach: Den Titel der Karte in eine Datenbank eingeben, dazu noch den Maßstab, das Jahr und … Doch schon der Titel kann Kopfzerbrechen bereiten. Fehlt er, versuchen Günter und Gesine Henke vom Geographischen Institut eine treffende Bezeichnung zu finden. Ist er zu lang, muss gekürzt werden – was nicht immer einfach ist, wenn beispielsweise die „Expedition nach Kuanga“ schon im Titel detailliert mit allen Teilnehmern und route angegeben ist. Mit den neuen Computerprogrammen wäre es kein Problem, solche halben Romane zu verfassen. Doch Henkes müssen ein Programm verwenden, das schon einige Jahre alt ist und nur begrenzte Texte aufnehmen kann.

Szenischer Einstieg

Nicht nur bei Reportagen, sondern auch bei Berichten eignen sich häufig szenische Einstiege. Darin wird eine Szene geschildert, in der wir der Hauptfigur (!) des Textes in einer typischen (aber für den Leser ungewohnten, spannenden, interessanten) Situation begegnen.

Langsam trudeln die Leute ein. An der Kasse gibt es bereits einen Engpass. Zu wenig Verkaufspersonal. Schnell wird eine neue Preisliste für das Getränkeangebot geschrieben, dann muss Tom schon in den Projektionsraum. Der 24-Jährige ist heute der Filmvorführer. Die neun Rollen für den heutigen Film stehen bereits ordentlich im Schrank, damit er schnell auf sie zugreifen kann. Im linken Projektor ist bereits der Trailer, der den nächsten Film ankündigt, eingelegt; der rechte Projektor ist noch frei.

Bei der Einstiegsszene keine 08/15-Begebenheit. Und wenn doch (wie im Beispiel), dann durch andere Perspektive dem Geschehen wirklich etwas neues abgewinnen. Kein Wetter in den ersten drei Sätzen (das ist nämlich der einfachste szenische Einstieg – daher tut das jeder).

Provokante These

Eine Behauptung oder These, die bewusst den Leser provoziert („Männer sind grundsätzlich faul“) und zum Weiterlesen motiviert, kann ein guter Einstieg sein. Jedoch muss der Rest des Textes der Erwartung wenigstens halbwegs entsprechen. Also muss die Provokation erläutert, plausibilisert werden, und durch die sehr markante These am Anfang sind auch keine ausführlichen inhaltlichen Schlenker während des Textes möglich. Alles muss sich auf diese These hin fokussieren.

Schwul sein ist in. Und wenn schon nicht schwul sein, dann wenigstens mit der Möglichkeit kokettieren. Das ist nicht erst in aktuellen Filmen ein Thema. Man denke daran, wie Crassus in »Spartacus« (1961) Antoninus verführen wollte. Durch die Blume fragt er ihn nach seiner sexuellen Orientierung: »Findest du, dass Austern zu essen moralisch, dagegen Schnecken zu essen unmoralisch ist? Selbstverständlich nicht, das ist nur eine Geschmacksfrage. Und Geschmack hat nichts mit Appetit zu tun und ist daher keine Frage der Moral. Ich mag im Gegensatz zu dir beides: Schnecken und Austern.« Damals wurden solche Szenen noch herausgeschnitten, heute scheint die Frage nach »Schnecken oder Austern« weniger bedeutsam zu sein. [weiter]

Zusammenfassendes

Während der Recherche oder Gedankensortierung wird der Autor häufig einen Zusammenhalt einzelner Textelemente feststellen. Wenn sich dieser prägnant formulieren lässt, ist der Anfang schon gefunden. Allerdings wirkt dieser erste Satz damit wie eine These, d.h. der gesamte weitere Text dient der Bestätigung dieser These.

Das Papier ist „wohl eher Kommunikation als Politik“, fasst Heinz-Elmar Tenorth seinen Eindruck zusammen. Der Vizepräsident ist für Lehre und Studium an der Humboldt-Universität zuständig – und Professor für Erziehungswissenschaft. Sein Fachkollege Jürgen Henze, Professor für vergleichende Erziehungswissenschaft an der HU, urteilt ähnlich. „In geballter Wucht ist da eine Sammlung von Einzelpunkten entstanden, die für sich genommen nichts Neues bieten.“
Das Assistenzarzt-Leben in Sacred Heart geht weiter: genauso turbulent, chaotisch und verrückt wie in den ersten beiden „Scrubs“-Staffeln. Das Besondere dieser etwas anderen Arztserie ist die Spannbreite: Slapstick-Einlagen, Traum-Sequenzen und absurde Situationen wechseln sich ab mit Medizin-Monologen, ergreifenden Szenen aus dem Krankenhaus-Alltag und dem Bestreben der Protagonisten, ihr Privat- und Berufsleben in geordnete Bahnen zu lenken. [weiter]

Weitere Möglichkeiten

interesantes Detail herausgreifen

„Word processor“ heißt auf Englisch Textverarbeitungsprogramm. Man gerät in Versuchung, diesen Begriff auf einen Teil unseres Gehirns ausweiten zu wollen. Scheint dort doch einiges nach aus der Informatik bekannten Schemata abzulaufen. Seit 1997 versucht das Institut für deutsche Sprache und Linguistik der HU, in verschiedenen Experimenten den Funktionsweisen des Gehirns beim Sprechen auf die Schliche zu kommen.

Wörtliches Zitat

„Jeder Teenager will von hier verschwinden“, weiß Paul, als er nach 17 Jahren zur Beerdigung seines Vaters in die öde Gegend seiner Kindheit zurückkehrt. [weiter]
„Das steht doch alles im Internet.“ Nein, es steht nur das im Internet, was jemand dort eingestellt hat. Und selbst wenn es online ist, heißt das noch lange nicht, dass man es findet. Im Suchindex von Google und all den anderen Suchmaschinen werden täglich mehr und mehr Internet-Seiten erfasst, aber eben nicht alle. Verlässt man sich zu sehr auf die Ergebnisse solcher Suchdienste, entgehen einem wichtige Informationen. Das hängt auch davon ab, wo man mit seinem Computer ins Internet geht. Aufgrund unterschiedlicher Gesetze filtert Google in Deutschland und anderen Ländern einige Seiten heraus. Hinter der Landesgrenze bekommt man mit der gleichen Anfrage deutlich andere Ergebnisse präsentiert. [weiter]

Stilistisches Zitat

Ganz Amerika ist in Panik versetzt. Ganz Amerika? Nein. Ein Tonstudio in New York spielt wie gewohnt. Aber eben etwas ganz Ungewohntes: den Angriff der Marsianer auf unsere liebe Erde. Reporter werden live zugeschaltet, Wissenschaftler analysieren die Schäden, die Gegner und die Abwehrmaßnahmen. Und mittendrin sitzt ein junger Orson Welles und freut sich über seinen gelungenen Halloween-Scherz.

Zitate funktionieren nur unter wenigen Bedingungen als Satzanfänge: Das begleitende Foto und die Hauptfigur und die zitierte Person sind identisch; das Zitat ist so eine prägnante Zusammenfassung oder Provokation oder verdammt kurz oder ein in dem Thema scheinbar falscher Allgemeinplatz. Zitate, die länger als anderthalb Druckzeilen sind, sind keine Anfänge! Die Leseforschung ergab: Zitatanfänge haben die höchste Abbruchquote.

Allgemeinplatz (bzw. damit spielen)

Ohne Computer ist heute kein Studium mehr zu bestehen. Vor 20 Jahren hätten solche Gedanken noch zur Sciencefiction gezählt. Nun ist die Zukunft unsere Gegenwart und wir suchen eine neue Zukunft.
Blau ist eine gute Farbe. Sie strahlt etwas Majestätisches, Erhabenes aus – wenn man sie richtig verwendet. In der ungelenken Hand eines Erstklässlers kann die blaue Linie auf dem Papier etwas Rührendes haben, in der eleganten Hand einer Gehaltsscheckunterzeichnerin etwas Graziles und in der ausgeschriebenen Hand eines Greises etwas Weises. Nach zahlreichen Umfragen ist Blau die populärste Lieblingsfarbe. Über 40 Prozent der Befragten mögen Blau. Rot, Grün, Gelb, Violett und all die anderen Farben folgen erst mit Abstand. [weiter]

scheinbares Paradox voranstellen

Mitunter mutet die Humboldt-Universität wie ein Museum an: altes Gemäuer, das mit Reliefs und Büsten verziert ist und von Gemälden verdeckt wird. Und wie in einem Museum gibt es jemanden, der sich um all die großen und kleinen Kunstschätze kümmert: eine Kustodin. Das kommt aus dem Lateinischen und bedeutet eigentlich Wächterin. Nur wenige Universitäten in Deutschland haben ein solches Amt, denn nur wenige sind so alt, dass ein Kustos oder eine Kustodin genug Kunstschätze zu verwalten hätte.

Grundsätzlich

In dem Moment, wo ein Leser beginnt, den Text zu lesen, ist die halbe Miete schon gewonnen. Nun gilt es, den Leser nicht wieder von der Leine zu lassen und ihn regelmäßig mit interessanten, spannenden Inhalten im Text zu halten. Auch formale Versiertheit und überraschende Gedanken, Wendungen sind wichtige Mittel, die Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Anspruch, den Leser im Text zu halten, darf nie als Argument dienen, unsauber, unsachlich, unkorrekt zu arbeiten oder gegen journalistische Grundsätze zu verstoßen.

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